Im Lichte der Vergangenheit: Roman (German Edition) by Banville John

Im Lichte der Vergangenheit: Roman (German Edition) by Banville John

Autor:Banville, John [Banville, John]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783462307658
Herausgeber: eBook by Kiepenheuer&Witsch
veröffentlicht: 2014-02-12T23:00:00+00:00


Und doch war sie durch und durch, unausweichlich und zu Zeiten auch erschreckend menschlich, mit allen Fehlern und Schwächen behaftet, die Menschen eben einmal haben. Eines Tages balgten wir uns in Cotters Haus auf dem Fußboden – sie war angezogen und hatte gerade gehen wollen, ich aber hatte sie gepackt und sie wieder auf die Matratze gezerrt, und hatte die Hand unter ihrem Hintern –, als sie auf einmal aus Versehen einen fahren ließ – direkt in meine Hand. Dem kurzen Ton folgte eine furchtbare Stille, wie nach einem Pistolenschuss oder dem ersten Poltern bei einem Erdbeben. Für mich war das natürlich ein großer Schock. Ich war noch in einem Alter, wo ich zwar schon wusste, dass die Geschlechter hinsichtlich ihrer Peristaltik identisch sind, dieses jedoch für mich fröhlich bestreiten konnte. Ein Furz indes war unbestreitbar. Die Folge dieser ganzen Sache war, dass Mrs Gray sich rasch von mir abwandte und mürrisch die Schultern hochzog. »Nun schau doch«, sagte sie ärgerlich, »nun schau doch, was du angerichtet hast, so an mir herumzuzerren, als ob ich ein Kesselflickerflittchen bin oder so was.« Die Ungerechtigkeit dieser Bemerkung machte mich sprachlos. Doch als sie sich wieder zurückdrehte und meinen empörten Blick sah, lachte sie schallend auf und stieß mich hart in die Brust und wollte, immer noch lachend, wissen, ob ich mich denn nicht schämte, und zwar bis auf die Knochen. Wie so oft war es ihr Lachen, das die Situation rettete, und es dauerte gar nicht lange, da fand ich diese fundamentale Entäußerung ihrer selbst keineswegs mehr abstoßend, sondern fühlte mich geradezu privilegiert, als hätte sie mich eingeladen, mit ihr an einem Ort zu weilen, den sie noch nie zuvor jemandem zu betreten gestattet hatte.

Fakt ist, dass sie mir den größten Teil der übrigen Weiblichkeit vermiest hat. Mädchen wie Hettie Hickey waren nun nichts mehr für mich, ihre mageren Brüste und knabenhaften Hüften, ihre knochigen Knie, ihre Zöpfe und Pferdeschwänze – das alles konnte mich nicht mehr groß beeindrucken, mich, der ich die Opulenz einer erwachsenen Frau erlebt hatte, dieses Gefühl, wenn ihre Fleischesfülle sich in den engen Nähten ihrer Kleidung dehnte, die heiße Fettigkeit ihrer Lippen, wenn sie vor Leidenschaft ganz schwammig wurden, die kühle Feuchte ihrer leicht genarbten Wange, wenn sie sie an meinen Bauch legte. Bei all der Fleischlichkeit besaß sie dennoch eine Leichtigkeit und eine Anmut, wie auch die zierlichste der Mädchenblüten sie nicht zu bieten hatte. Ihre Farben waren für mich natürlich grau, aber so ein spezielles Fliedergrau, und Umbra und Rosé und noch ein Ton, schwer zu benennen – wie dunkler Tee? oder gequetschtes Geißblatt? –, doch zu erspähen an ihren allergeheimsten Stellen, entlang der Säume ihrer Niederlippen und in der Aureole jenes geschürzten kleinen Sterns, der zwischen ihren Hinterbacken sich verbarg.

Und sie war, jedenfalls für mich, ein absolutes Unikum. Ich hatte keine Ahnung, welchen Platz ich ihr auf der Menschenskala zuweisen sollte. Nicht richtig eine Frau wie meine Mutter und gewiss nicht wie die Mädchen, die ich kannte, besaß sie, wie ich wohl schon sagte, gewissermaßen ein ganz eigenes Geschlecht.



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